Klinik Hohe Mark: Psychisch krank durch Migration?

Eine Veranstaltung der Klinik Hohe Mark in Kooperation mit dem Amt für Multikulturelle Angelegenheiten, dem Referat Muttersprachliche Gemeinden der Katholischen Kirche Frankfurt und der Katholischen Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom.
Am 24. November 2017 begrüßte im Haus am Dom" Klinik Hohe Mark Chefarzt Dr. Dietmar Seehuber ca. 100 Gäste zur zweiten Veranstaltung der jährlichen Vortragsreihe zum Leitthema "Interkulturelle Psychiatrie".
Während der Referent des letzten Jahres, Wielant Machleidt/Hannover, mit der Frage nach "Bindung, Beziehung und Identität im interkulturellen Raum" sehr viele Impulse für die praktische Arbeit gab, war der diesjährige Vortrag eher theoretischer Natur.

Weiterentwicklung der empirische Migrationsforschung

Zum Anfang betonte der Referent Wolfgang Schulz, emeritierter Psychologie-Professor aus Braunschweig, dass die empirische Migrationsforschung lange von soziologischen Fragestellungen dominiert wurde. Erst seit wenigen Jahren wird der Focus auf das Thema Gesundheit legt.
So auch der heutige Vortrag, der seinen Schwerpunkt auf die Präsentation mehrerer, auch eigener, Studien zu psychischen Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Familien mit Migrationshintergrund legt.

17 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrung

Dabei führt Schulz den Begriff Migration sehr weit aus. Er bezog sich hierzu u. a. auf eine Erhebung aus dem Jahr 2015, die von 21% der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausgeht, also ca. 17,1 Millionen Menschen.

Psychisch krank durch Migration? Nicht unbedingt!

Insgesamt stellt der Referent fest, dass statistisch gesehen die Prävalenz psychischer Störungen bei Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zur Bevölkerung nur leicht erhöht ist.
Lediglich eine geringe Erhöhung der Prävalenz affektiver Störungen und eine deutliche Erhöhung des Risikos an Schizophrenie zu erkranken ist erkennbar.

[Dabei wurde allerdings die akute und erzwungene Situation von Menschen auf der Flucht während Ihres Aufenthaltes in Deutschland und Europa nicht betrachtet. Hier ist jedoch definitiv von einer erhöhten Prävalenz psychischer Störungen, wie z.B. einer Posttraumatischen Belastungsstörung, auszugehen.]

Im Hinblick auf die jüngere Generation zitiert Schulz eine Zusammenfassung der europäischen Forschung aus 36 Studien von Kouider et al. (2014). Ergebnis: Weniger die Migration, sondern andere Faktoren, z.B. kulturelle Aspekte, seien für die psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen verantwortlich.
So könnten sich auch signifikante Unterschiede im Erscheinungsbild psychischer Störungen erklären. Etwa die erhöhte Prävalenz von pathologischem Glücksspiel, Internetsucht und Drogenmissbrauch bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Dies im Unterschied z.B. einer Erhöhung der Prävalenz von Alkoholmissbrauch, einer riskant ausgelebten Sexualität oder von Essstörungen bei deutschen Jugendlichen.

Kinder aus Migrationsfamilien profitieren von Kitas

Ein anderer Aspekt könnte aus Sicht der Pädagogik von Interesse sein. Nämlich der Umstand, dass Kinder aus Migrationsfamilien besonders positiv von den externen Betreuungsangeboten in Kitas profitierten, während dies für deutsche Kinder nicht entsprechend nachweisbar sei, so Schulz.

Diskriminierung, ein wirkliches Problem!

Weiter ging es mit der Frage, welchen Einfluss Diskriminierung auf die Psyche von Migrantinnen und Migranten haben kann. Die hierzu präsentierten Studien zeigen ein eindeutiges Ergebnis: Eine wahrgenommene Diskriminierung hat spürbar negativen Einfluss auf die seelische und körperliche Gesundheit. Neben z. B. Angst- und depressiven Störungen, legen Diskriminierungserfahrungen die Grundlage für die Entwicklung stressbedingter Krankheiten.

Psychisch krank durch Migration? Ja, bei bestimmten Risikogruppen!

Der Referent beendete seine Ausführungen u.a. mit einer wesentlichen Schlussfolgerung. Er plädierte dafür, die große Vielfalt der Menschen mit Migrationshintergrund als Bereicherung und unter dem Aspekt der Ressourcenorientierung zu sehen. Entscheidend dabei sei, sich beim Thema Migration gezielt um Risikogruppen zu kümmern: u. a. Kinder – und Jugendliche, Asylbewerber und Menschen im Kontext illegaler Migration.

Die Folien zum Vortrag von W. Schulz finden Sie hier zum Download >>>

Nächster Vortrag zur Reihe "Interkulturelle Psychiatrie" am 19. Oktober 2018

Der nächste Vortrag zur Reihe "Interkulturelle Psychiatrie" findet am 19. Oktober 2018, 17.00 Uhr wieder im Haus am Dom statt. Diesmal mit Iris Tatjana Graef-Calliess vom, Zentrum Transkulturelle Psychiatrie & Psychotherapie, Sehnde/Hannover.

attached images

  • Dr. Dietmar Seehuber und Prof. Dr. Wolfgang Schulz

Patienten 

Angehörige & Besucher

Fachliche Infos

Beruf & Karriere