Hoffnung für suchtkranke Menschen

Klinik Hohe Mark Chefarzt Dr. Dietmar Seehuber zu Corona, Sucht und Hoffnung.

Dass in der Corona-Krise psychisch kranke Menschen besonders von den Einschränkungen im öffentlichen sowie privaten Leben betroffen sind, wird mehr und mehr öffentlich wahrgenommen. Krankheitsmuster, die sie dank einer Behandlung gut im Griff hatten, werden wieder aktiviert oder gar verstärkt. Denn angeschlagene und verletzbare Menschen können mit dieser neuen Situation oftmals nicht gut umgehen. Sie fühlen sich eher hilf- und perspektivlos und können das nur schwer kompensieren. Wenn sie in dieser Situation stattdessen mit Rückzug, mit Inaktivität, mit Abhängigkeit, mit einer ausgeprägten Ängstlichkeit oder auch mit Suchtverhalten reagieren, kann es kritisch werden. Letzteres ist besonders für Menschen ein Problem, die schon vorher mit einer Suchterkrankung gekämpft haben.

Dr. Seehuber, was macht die Kombination von Corona und Sucht so besonders kritisch?

Um dies zu beschreiben ist es wichtig, die Dynamik der Sucht und das Wesen von Sinn zu verstehen. Denn nach meinem Verständnis vom Menschsein sind wir alle Sinnsucher, finden diesen aber nicht immer in hilfreichen Bezügen, sondern oft nur scheinbar. Anfangs z.B. hat der Suchtkranke dem Suchtstoff den Sinn gegeben, ihn zu beruhigen, ihm den Stress zu nehmen oder ihm Mut zu machen. Doch eigentlich ist dies kein Sinn, sondern nur eine Wirkung. Wenn dann diese Wirkung allmählich zum „Sinn“ wird, ist aus dem ursprünglichen Sinn- ein Wirkungs-, ein Rausch- oder besser ein Erregungssucher geworden. Erst wenn der davon Betroffene dieses Muster durchschaut, kann er seine Suche nach Sinn wieder neu und gesünder ausrichten. Z. B. auf Beziehungen zu anderen Menschen. Deswegen erlebe ich unsere Patienten total offen für Spiritualität und Sinnfragen. Denn die Sucht hat sie um den eigentlichen Sinn ja betrogen.

Und was hat das mit Corona zu tun?

Corona ist ein Totalangriff auf das Lebenskonzept der Menschen. Dieses Virus macht in unseren Augen keinen Sinn. Im Gegenteil, es hat die Macht, den bisherigen Sinngehalt vieler Existenzen zu zerstören, denn es entlarvt den Machbarkeitswahn der Menschen vom „Schönen Leben“ als Mythos. Von daher stellt uns Corona die Sinnfrage, genau wie der Suchtkranke sich die Sinnfrage stellt. Diese Kombination kann zu einem besonders hohen, inneren Druck auf suchtkranke Menschen führen und Rückfälle auslösen. Denn sie haben das Konsummuster bei Druck zum Stoff, meistens Alkohol, zu greifen.

Was sagen Sie solch einem Menschen?

Ich sage Ihnen: „Gehen Sie unbedingt in Beziehung mit jemand! Reden Sie mit einem anderen Menschen, der Ihnen gut tut, rufen Sie dort an, vernetzen Sie sich!“. Hier sind – besonders auch in diesen Tagen – Selbsthilfegruppen wie z.B. das Blaue Kreuz eine große Stütze. Sie sind telefonisch gut erreichbar und sie helfen auch über soziale Medien wie z.B. facebook. Wer so handelt wird selbstwirksam, und befreit sich aus dem lähmenden Status, ein Corona-Opfer zu sein. Denn die aktuelle Lage ist ja so wie sie ist. Wir müssen alle das Beste daraus machen, das Leben geht doch weiter!

Noch einmal zurück zur Spiritualität, warum kann diese suchtkranken Menschen besonders helfen?

Für mich ist besonders die christliche Spiritualität eine sehr gute Botschaft. Der Glaube an Gott sagt mir: Ich bin gewollt und geschaffen. Dies mit einem Ziel; damit ich mich entwickeln, wachsen und meinen eigenen Sinn finden kann. All das trotz Schuld, Scham, Ohnmachtserfahrungen und Scheitern. Es ist eigentlich die Geschichte vom „Verlorenen Sohn!“, der heim kommt und von seinem Vater liebend angenommen wird. Wer in dieser Hoffnung lebt, kann immer wieder neu anfangen, auch nach Rückfällen.

Und was ist, wenn ein suchtkranker Mensch keine Hoffnung mehr hat?

Dann muss ich zu seiner Hoffnung werden, also stellvertretend für ihn hoffen. Ein guter Therapeut braucht ein positives Bild vom Menschen, er schreibt keinen ab. Er muss sich vorstellen können, wie z.B. der verwahrloste Trinker sich entwickeln könnte, wenn er sich aus dem Suchtkreislauf allmählich befreit. Wenn die betroffenen Menschen dies spüren, dann kann das auch für sie wieder neue Hoffnung schaffen.

Was macht dies mit Ihrer Spiritualität? Beten Sie z. B. für Ihre Patienten?

Ja, ich bete für meine Patienten und bringe sie vor Gott!

Danke für das Gespräch

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